M. Furrer u.a. (Hrsg.): Die Schweiz im kurzen 20. Jahrhundert

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Titel
Die Schweiz im kurzen 20. Jahrhundert. 1914 bis 1989 – mit Blick auf die Gegenwart


Herausgeber
Furrer, Markus; Messmer, Kurt; Weder, Bruno H.; Ziegler, Béatrice
Erschienen
Zürich 2008: Pestalozzianum
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Luginbühl, Seminar für Allgemeine und Schweizerische Zeitgeschichte, Universität Freiburg i. Ü.

Historische Überblickswerke zur Geschichte der Schweiz sind Mangelware. Als Standardwerk gilt immer noch die 1982/83 erschienene und 2004 zum vierten Mal aufgelegte «Geschichte der Schweiz und der Schweizer». Sie ergänzte bzw. ersetzte das stark auf Verfassungs-, Politik- und Ereignisgeschichte ausgerichtete «Handbuch der Schweizer Geschichte » (1972/77) und mass insbesondere der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte grosse Bedeutung zu. Weitere breit angelegte Gesamtdarstellungen blieben aus, nicht zuletzt deshalb, weil die Frage, ob es Nationalgeschichten überhaupt noch brauche, tendenziell mit Nein beantwortet wurde.1 Die Mängel der bestehenden Gesamtdarstellungen sind derweil allgemein bekannt: Einerseits die dominante Binnenperspektive, die transnationale Transfers und Vergleiche weitgehend ausser Acht lässt, zum anderen das weitgehende Fehlen kulturhistorischer Fragestellungen. Des Weiteren bleibt das Desiderat nach einer Gesamtdarstellung, die neuere Forschungsergebnisse berücksichtigt.

Dem vorliegenden Studienbuch, das sich in erster Linie an (zukünftige) Geschichtslehrerinnen und -lehrer richtet, gelingt es, diese Lücke für das 20. Jahrhundert ein gutes Stück zu schliessen. Es ist in zwei Teile gegliedert: in einen historischen, in welchem «Entwicklungslinien zur Geschichte der Schweiz» nachgezeichnet werden, und in einen geschichtsdidaktischen, der einzelne Themen herausgreift und mögliche Wege der Vermittlung aufzeigt.

Bei der Periodisierung des «kurzen 20. Jahrhunderts» lehnt sich das Studienbuch an Eric Hobsbawm an. Nach einem Einführungskapitel zum kurzen 20. Jahrhundert als Epoche folgen Kapitel zum «Katastrophenzeitalter» (1914–1945), zu Nachkriegszeit und «Golden Age» (1945–1973) sowie zu den «Krisenjahrzehnten» (1973–1989/91), die teilweise noch feiner untergliedert werden. Ein kürzeres Kapitel geht den Entwicklungen nach 1989/91 nach, soweit sich diese bereits aufzeigen lassen. Abgeschlossen werden diese Kapitel jeweils von einem kommentierten Literaturverzeichnis, das weniger auf Vollständigkeit als auf Schwerpunktsetzung und klare thematischer Gliederung ausgerichtet ist und damit den Bedürfnissen von Studierenden und angehenden Lehrpersonen sehr entgegenkommt.

Dem Anspruch auf eine stärkere Berücksichtigung transnationaler Aspekte wird das Autorentrio Markus Furrer, Bruno H. Weder und Béatrice Ziegler, das für den historischen Teil verantwortlich zeichnet, vor allem dadurch gerecht, dass es den jeweiligen Kapiteln gesamteuropäisch orientierte Einordnungen voranstellt und im Text auf globale und europäische Bezüge aufmerksam macht. Starke Berücksichtigung findet weiter der Genderaspekt, dem teilweise eigene Unterkapitel gewidmet sind. Einen weiteren Schwerpunkt legen die Autoren auf die metahistorische Ebene und damit auf den Wandel von Geschichtsbildern, konkurrierende Deutungen und dem Verhältnis von Geschichtsschreibung und Erinnerung. So wird beispielsweise der Teil zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg mit dem Unterkapitel «Kriegsgeschichte als ‹Streitgeschichte›» abgeschlossen, das für die Problematik der wechselnden Deutungen sensibilisieren soll. Auch enthalten die Literaturüberblicke jeweils historiographische Bemerkungen. Abgeschlossen wird der historische Teil mit einem Fragenkatalog, der der Leserin bzw. dem Leser dazu dienen soll, das Gelesene noch einmal zu reflektieren.

Der zweite, von Kurt Messmer verfasste, didaktische Teil steckt zuerst das geschichtsdidaktische Feld ab und gibt dabei Hinweise zum Umgang mit Quellen im Unterricht und zu verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zu historischen Phänomenen. Im Folgenden werden Themen des historischen Teils wieder aufgegriffen und mögliche Wege der Vermittlung vorgestellt. So setzt Messmer beispielsweise die Jugendbewegung von 1968 mit anderen Jugendbewegungen und -kulturen des 20. Jahrhunderts in Bezug und diskutiert dabei die Möglichkeiten und Grenzen solcher «Längsschnitte». Statt einer eigentlichen systematischen Geschichtsdidaktik stellt der zweite Teil damit eher eine «Sammlung geschichtsdidaktischer Themen» dar, «die je in enge Verbindung mit einem bestimmten Zeitabschnitt der Schweizer Geschichte im 20. Jahrhundert gebracht werden» (13). Störend wirkt bei der Lektüre dieses Teils leider die gar blumige und mit Kürzestsätzen wie «Nichts da!» (188) oder «Ja, noch Fragen» (205) durchsetzte Sprache, die zuweilen auch bemühend motivierend daherkommt («Dann soll’s also losgehen», 194). Zudem ist das unruhige Layout der Orientierung eher abträglich.

Insgesamt ist das Studienbuch eine gelungene Kombination von historischer Orientierung und Geschichtsdidaktik und kann insbesondere angehenden und aktiven Lehrkräften nur empfohlen werden. Aufgrund des historischen Teils bietet das Buch auch Studienanfängern im Bereich Zeitgeschichte eine fundierte Einführung zur Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert.

1 Eine neue Gesamtdarstellung, die vermehrt auch transnationale Bezüge hervorheben will, ist für 2010 vorgesehen. Siehe dazu den Projektbeschrieb bei: Georg Kreis, Schweizerische Nationalgeschichten im 20. und 21. Jahrhundert, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 1/59 (2009), 135–148.

Zitierweise:
David Luginbühl: Rezension zu: Markus Furrer/Kurt Messmer/Bruno H. Weder/Béatrice Ziegler, Die Schweiz im kurzen 20. Jahrhundert. 1914 bis 1989 – mit Blick auf die Gegenwart, Zürich, Verlag Pestalozzianum, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 338-339.

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